Corona hat mir meine Bremsklötze gestohlen.

Ungebremst sehe ich Alte allein auf Parkbänken sitzen. Tote Amseln. Meine Mutter, die verzweifelt versucht, mit einem Handy zu telefonieren. 88 Jahre hat sie gelernt, fest und lange und nochmal zu drücken, wenn es nicht gleich klappt. Nun ist sie hilflos, Ob wir ihren wunderbaren Festnetzanschluss repariert kriegen? Ich weiß es nicht, der Betreiber hat Kundenservice, aber keine Techniker. Pakete kommen nicht an. Die Bekannten, die noch leben, müssen denken, sie sei gestorben: „Die von Ihnen gewählte Rufnummer ist nicht vergeben.“

Meine Gefühle knallen gegen jede Wand. Auch die Freude schmerzt. Die grauen Wolken lachen.

Gegenvorschlag.

Eine Mutter, zwei Töchter. Drei Haushalte. Verboten.

Wenn die Leute sich wundern, warum trotz des Lockdowns die Ansteckungszahlen nicht sinken, und ich dann anmerke, dass das eigentlich kein Wunder ist, endet die nachfolgende Diskussion meist mit einem Stoßseufzer: „Bin ich froh, dass ich nicht über die Eindämmungsmaßnahmen entscheiden muss.“ Das ist der Moment, in dem ich meist ausraste.

Wer, wenn nicht jeder Einzelne von uns, hat genau diese Entscheidung in der Hand? Man hat uns so auf die Befolgung von Regeln eingeschworen, dass viele vergessen haben: Ob wir jemandem Krankheit oder Tod bringen, liegt allein bei uns selbst.

Die Regeln und das Wetter drängen uns, sich privat drinnen zu treffen., die Kontaktbeschränkung, es heimlich zu tun. Dass das niemand zugibt bzw.. zugeben darf, ist wohl die Ursache dafür, dass Infektionen nicht mehr nachverfolgt werden können. Dieses Verhalten ist dumm, verantwortungslos und zutiefst menschlich. Wie wäre es also, wenn wir den Menschen die Verantwortung für Leben und Gesundheit ihrer Lieben wieder zurückgeben?

Wenn das RKI kein Karnevalsverein ist und seine Ansagen richtig, dann sind Begegnungen an der frischen Luft – mit Abstand und/oder Maske – ohne Ansteckungsrisiko möglich. So habe ich eine wunderschöne Christmette mit Lichterketten, Gitarren und Weihnachtsliedern feiern dürfen. Draußen. Also lassen Sie uns ‘rausgehen! Mit dem Bollerwagen durch den Stadtpark! Zum Zumba auf die Wiese! Zum Geburtstagsständchen auf dem Elbdeich! Mit den Mädels auf ein Schwätzchen am Dorfbrunnen!! Draußen ist hui, drinnen pfui.

Wenn wir aufhören, uns in geschlossenen Räumen gegenseitig anzustecken, dann sollten die Zahlen endlich besser werden.

Wenn es nicht so doof wäre, müsste man lachen.

Dies ist kein Kampf gegen Windmühlen. Und doch gibt es Esel, auf denen man herumreiten kann. Und edle Ritter, die mit Gebrüll – ach, lassen wir es, Sie wissen eh, wen ich meine. Aber die hier, die kennen sie noch nicht:

Da ist der Kollege, der ein eigenes Zimmer hat, weil er ja der stellvertretende Stellvertreter der Abteilungsleitung ist und von einer Beförderung träumt. Deshalb haben wir uns angewöhnt, ihn nicht zu stören, d.h.: kein Publikumsverkehr. Seit zwei Wochen jedoch steht seine Tür in regelmäßigen Abständen offen, ebenso wie das gegenüberliegende Fenster auf dem Flur. Er stoß- und querlüftet. Er will sich nämlich nicht anstecken.

Apropos: Eine unter normalen Umständen recht vernünftige Nachbarin hat „die“ App und wurde über einen Kontakt mit geringem Risiko informiert. Sie ist seitdem selbstverständlich in häuslicher Quarantäne mit Mann und Kindern und erwartet angstbebend ihr Testergebnis (Nachtrag: negativ natürlich).

Da ist dieser neue Laden am Jungfernstieg, ganz in holly jolly christmas, um die Kollektion einer semiprominenten Jungmami zu präsentieren. Gleich am Eingang steht ein stark nach Knoblauch duftender, schwarz vermummter Herr, der Fieber am Handgelenk misst. Es folgt eine entzückende junge Dame, die erstens zählt, zweitens meine Hände desinfiziert und mir drittens einen Einkaufskorb aufnötigt, den ich nicht will. Dann: Auftritt eines entzückenden jungen Mannes, der mir eine Maske überreicht mit Aufschrift (kiss me another time) – ein Geschenk! Das sind drei Kontakte deutlich unter 1,5 m Abstand in 2 Minuten. (Aber der Laden ist toll!).

Draußen in der Einkaufsstraße stehen sich drei Bekannte mit gehörigem Abstand gegenüber und schreien sich freudig an (sind alte Bekannte :-). Eine Frau mischt sich ein, das sei verboten, drei sind einer zuviel. Alle bleiben höflich, der fröhliche Moment der zufälligen Begegnung ist vorbei.

Dann sind da noch die Museen, die Theater, die Kulturhütten der Stadt. Dort kann man sich nicht begegnen, denn die sind zu. Sie sind zwar sicher, aber zu. Man kann sich dort nicht anstecken, vor dem zu nicht und jetzt erst recht nicht. Da können wir mit oder ohne An – bzw. Abstand demonstrieren oder Karten für die Elbphilharmonie haben – geht nicht. Kulturkontaktverbot.

So ein Kein-Windmühlenflügel kann schon böse Beulen verursachen.

The Corona Diaries.

Willkommen auf meinem persönlichen Jammerlappen-Blog! Hier gibt es Corona-News aus Hamburg, vom alltäglichen Wahnsinn einer alleinstehenden älteren Frau (a.k.a. Single-Lady). Episodenguide:

Folge 1: Im ÖPNV ist die Hölle los. Seit ein Bußgeld droht, wenn man ohne Atemschutzmaske fährt, fahren fast alle wieder. Die meisten mit Maske und ohne jedes Bedürfnis nach trotzdem-Abstand, die ganz Schlauen aber ohne Maske. Zahlen muss nämlich nur, wer erwischt wird, har har.

Folge 2: Im Büro. Die Kolleginnen drücken sich maskiert an der Wand entlang, wenn sie mir im Flur begegnen. In die Teeküche von der Größe eines Ein-Zimmer-Apartments darf nur eine/r zur Zeit – klar soweit? Warnrufe hallen durch das Gebäude, wenn das Klo besetzt ist und jemand trotzdem seine Hände waschen möchte. Zwei Kolleginnen, die sich seit Jahren einen großen Raum teilen, sprechen nicht mehr miteinander. Die eine besteht auf Dauerlüften, um die Gefahr einer Ansteckung zu mindern, die andere röchelt frierend und dauererkältet vor sich hin und wird von allen anderen angefeindet, weil sie trotzdem zur Arbeit kommt.

Folge 3: Home Office – wer kann, der kann. Die anderen nicht. (By the way, ich könnte einen Tag zu Hause arbeiten, will aber nicht wg. akuter Vereinsamung und sofort einsetzender Verlotterung. Hat mir einen schweren Rüffel der zuständigen Personalrätin eingebracht, die mich für extrem unsolidarisch hält.)

Folge 4: Mittagspause. Keiner geht mit mir essen, als ÖPNV-Nutzerin bin ich zu gefährlich. (Und überhaupt könnte ich doch ´mal umziehen und mit dem Radl zur Arbeit kommen. Oder wenigstens das Auto nehmen.)

Folge 5: Umfrage: Hast Du Lust, mit mir nach der Arbeit  in die Braque-Ausstellung ins Bucerius Kunst Forum zu kommen – umsonst !!!!? Nein, leider haben alle, die ich frage, schon etwas anderes vor. Sie müssen noch schnell Klopapier und Nudeln kaufen vor dem nächsten Lockdown. Und überhaupt bin ich schlechte Gesellschaft (Du fährst doch mit der Bahn zur Arbeit, oder? Also nee, nimm´s mir nicht übel, aber – nö.)

Folge 6: Feierabend. Klopapier und Nudeln kaufen, dann ab auf´s Sofa und heulen. Was gibt es im Fernsehen?

Folge 7: Allein, allein. Soll ich es noch einmal mit tindern versuchen? App laden, anmelden, schönes Profilbild auswählen und zack: jede Menge Matches! Nachrichten kommen keine, ich schreibe meinen Favoriten an, er antwortet: Fickst Du auch mit jüngeren Männern? Tinder aus. Für immer.

Cliffhanger: Wird sie Corona überleben? Schalten Sie wieder ein, wenn Sie lesen: Unkraut vergeht nicht.

Mit Haut und Haar.

Wer hat sie nicht im Badezimmer: lieb gemeinte äh-Geschenke aus den duftenden Glitzer- und Glamourläden dieser Welt, in denen jede Verkäuferin 2 cm lange Wimpern hat: Für die Ewigkeit konservierte Hochglanzprodukte, Parfum und Pflege mit Designer-Logo. Die Allergiebomben werden meist so lange weiter verschenkt, bis das Haltbarkeitsdatum endlich abgelaufen ist. Denn wir wissen, was gut ist für uns und was nicht. Und jetzt gibt es etwas Neues:

Festes Shampoo, Conditioner und Duschgel pappverpackt für kleines Geld im Drogeriemarkt um die Ecke! Die Massenproduzenten haben endlich realisiert, dass man mit weniger Plastik und weniger Gift mehr Geld verdienen kann. Auf diesen neuen Produkten ist das Kleingedruckte noch kleiner gedruckt, aber dank Code Check weiß ich: Kann man kaufen. Sollte man auch. Sie können natürlich auch weiter Naturkosmetik aus der Naturkostecke kaufen, das Zeug ist super, teuer, exklusiv und mit Glück in biologisch abbaubarem Plastik verpackt. Das ist schon gut. Aber je mehr Leute sich Umweltschutz leisten können, desto besser ist es für die Umwelt.

Und für mich auch. Ob es um meine wirklich langen Haare, meine sehr empfindliche Kopfhaut oder um die zarten (die ganz ganz zarten…) Stellen meines Körpers geht, die auch die mildeste Pflege noch nie vertragen haben: Die neuen Naturdinger sind vorsichtig formuliert und trocknen nix mehr aus. Auf Body Lotion kann ich nun verzichten. Ja, ein Problem gibt es noch: wenn die glitschigen Stückchen unter der Dusche entglitschen und sich partout nicht wieder einfangen lassen wollen. Ein neuer Hersteller hat ein Bändchen befestigt, das könnte helfen. Und dann kleben die Kleinen auch nicht mehr bombenfest in ihren Schälchen bis zum nächsten Gebrauch, sondern baumeln sich trocken.

Lassen Sie uns bitte noch einen Schritt weiter träumen: Wenn wir einfach alle auf Pflegeprodukte in Plastikverpackungen verzichten, die wir gar nicht (mehr) brauchen – wäre das nicht toll für uns?

mail@ich–bin–ein–idiot.de

Das Virus kommt nicht mit dem Wind oder wie ein radioaktiver Fallout: Es ist so babyeierleicht, sich selbst und andere vor einer Infektion zu schützen: Abstand und Hygiene. Da, wo es eng wird: Atemmasken tragen. Und gut is’.

Scheint aber vor allem Männern in der S-Bahn Probleme zu bereiten. Viele tragen ihre Masken gar nicht, oder am Kinn oder über dem Mund. Die Nase des Johannes bleibt frei. Statussymbol oder Statement? Dummheit oder Dreistigkeit? Mundgeruch? Wer den ÖPNV nutzt, lebt gefährlich. Jetzt erst recht.

Deshalb verteile ich den Mecker-Zettel nicht. Damit ich keine Faust aufs Maul kriege. Aber sich stattdessen das Virus zu fangen, ist auch keine Option.

Wer weiß Rat?

Erdbeerherz.

Heute hat mein Vater Geburtstag. Meine Mutter hätte ihm drei Erdbeerkuchen gebacken, Kinder und Enkel wären gekommen, wir hätten uns darauf gestürzt, jeder hätte so viel gegessen wie möglich. Wir waren und sind stolz darauf, wieviel wir essen können. Und mein Vater wäre glücklich gewesen, weil wir alle da sind und  satt sind.

So war er: Mit vollen Händen, mit riesengroßem Herzen wollte er seine Lieben glücklich machen, für sie sorgen. Und nicht nur für die: Er war auch derjenige, der brachte, was man brauchte – und mehr. Ja, er wäre einer von denen gewesen, die in der Krise Klopapier und Mehl und Hefe besorgt hätte für alle, die er kannte. Das waren keine Hamsterkäufe, das war Liebe. Er wollte Freude bereiten. Wenn er samstags Brötchen brachte, waren es nicht drei wie bestellt – in der Tüte waren sechs. Wenn er Cheeseburger als Überraschung für das Enkelkind holte, gab es auch welche für die Nachbarkinder samt ihren Eltern. Wenn er seinem Neffen eine Uhr zum Geburtstag schenkte, bekamen die anderen sieben Neffen und Nichten auch eine – damit keiner traurig ist. Er war lieb und großzügig, gesellig und fröhlich, er wollte nur das Beste und schoss ständig über das Ziel hinaus.

Seine älteste Tochter fand ihn too much, wir hatten kein wirklich gutes Verhältnis. Ich war undankbar, ungeduldig, böse mit ihm. Erst viel zu spät erkannte ich das Flüchtlingskind, dass als Deutscher und später in Deutschland als Pole gehasst wurde. Der erleben musste, wie der Krieg acht Geschwister fraß. Der bei der Bundeswehr Anerkennung fand und im Bayrischen eine Heimat, die er verloren hatte. Der nach Jahren der ehrenamtlichen Unterstützung entlassener Strafgefangener und hundert Enttäuschungen seine Grenzen enger zog, der in den 70ern anfing, sich politisch zu engagieren, um das Land sicher zu machen – für uns.

Der mir meinen alten Golf, den er durch den TÜV bringen wollte, in fünf verschiedenen Grüntönen lackiert zurückgab. Weil ich doch eine Grüne bin. Er hatte noch Farbe im Keller. Seine Art, mir zu zeigen, dass er mich akzeptierte, obwohl er langhaarige Bombenleger aka Grüne hasste. Doch ich wollte den Wagen sofort in der Elbe versenken. Wir verstanden uns nicht.

Papa, das Gartentürchen, dass Du gezimmert hast, hat noch einige Jahre gehalten. Das Parkplatzschild mit dem Auto-Kennzeichen steht noch. Und der Wagen, den Du für uns gefunden hast, der fährt auch immer noch. Ich vermisse Dich so.

Sie können auch anders.

Vorgestern im Super-Supermarkt, ich konnte in der langen Schlange vor der Kasse nicht umhin zu bemerken, dass es nebenan einen Unfall gegeben hatte: Jemand war zu Boden gegangen, drei Männer waren zur Stelle: Zwei stützten das alte Menschlein mit Händen und Armen so, dass es geborgen war, einer versorgte eine Platzwunde am kahlen Köpfchen. Während ich mit bangem Herzen auf den Rettungswagen wartete, piepste es manchmal schwach – das Menschlein war bei Bewusstsein. Ich konnte eine Perücke auf dem Boden sehen, geschwollene Knöchel in dicken Gesundheitsschuhen, graue Kompressionsstrümpfe. Als die Sanitäter eintrafen, zahlte ich gerade, und nicht nur ich weinte: Irgendjemand hatte seine Mutter heute nicht verloren.

Die drei Helfer kannten sich untereinander nicht, und ich hätte unter normalen Umständen mit keinem von ihnen gern gesprochen. Bei einem hätte ich sogar die Straßenseite gewechselt, wenn ich ihm begegnet wäre. Aber nun möchte ich sagen:

Ihr Arschlöcher und Vollidioten, ihr Dumpfbacken, ihr Hornochsen, Schweinepriester und Flachwichser: Was bin ich froh, Euch wieder draußen zu sehen.

 

Tulpen-Momente.

Böse Zungen behaupten, ich könne einem einfach alles vermiesen. Unter uns: Kann ich wirklich. Ist aber nicht gemein gemeint, sondern eher lessingsch: Lass uns die Dinge so sehen, wie sie sind. Und nicht, wie sie scheinen. Gerade deshalb habe ich heute nach unschuldigen Momenten gesucht, wohlwissend, dass sie es sind, die Freude bereiten können. Die brauchen wir alle. Und auch wenn wir mit 1.000 Tulpenphotos nichts gegen Covid 19 ausrichten können – die Tulpen blühen trotzdem. In diesem Sinne, hier sind meine Tulpen-Momente vom Wochenende:

Das Apfelbäumchen, das seit 13 Jahren im viel zu kleinen Topf auf bessere Zeiten wartet, hat Blüten, zum ersten Mal:

Die Maiköniginnen blühen schon jetzt, jeder Blick nach oben lohnt sich:

Tulpenparty im Büro:

Und Durchhalteparolen aus Kinderhand auf Asphalt:

Bleiben Sie gesund!